Widerlegt diese Zwerg-Galaxie Dunkle Materie und MOND-Theorie zugleich?

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Hubble-Aufnahme der „durchsichtigen“ Galaxie NGC 1052-DF2, in der es keine Dunkle Materie zu geben scheint.
Copyright: NASA, ESA, and P. van Dokkum (Yale University)

Bonn (Deutschland) – Erst im vergangenen März berichteten Astronomen von der Entdeckung einer nahen Zwerg-Galaxie, in der es kaum bis gar keine Dunkle Materie zu geben scheint, und die somit nicht nur den bisherigen Theorien zur Galaxienentstehung, sondern auch dem Konzept der Dunklen Materie allgemein, dem bisherigen Standardmodell der Kosmologie und paradoxerweise auch dem sog. MOND-Theorie widersprechen würde, obwohl gerade letztere eigentlich ohne den „dunklen Sternenkitt“ auskommt. In einem aktuellen Kommentar widerspricht nun ein internationales Wissenschaftlerteam denn auch dieser Schlussfolgerung.

„Der Name ‚Dunkle Materie‘ rührt daher, dass sie unsichtbar – also ‚dunkel‘ – ist“, erklärt aktuell Dr. Indranil Banik, der in Kürze von der University of St Andrews (Schottland) als Humboldt-Stipendiat an die Universität Bonn kommt. „Lediglich ihre Wechselwirkungen über die Gravitation sind indirekt zu beobachten. Nur mit Hilfe der Dunklen Materie kann im Standardmodell der Kosmologie die Bewegung der sichtbaren Materie erklärt werden, zum Beispiel wie schnell die Sterne in einer Galaxie um das Zentrum kreisen.“

Allerdings basiere die Newton’sche und Einstein‘sche Gravitationstheorie auf empirischen Daten, die ursprünglich nur für unser Sonnensystem erhoben wurden“, sagt Prof. Dr. Pavel Kroupa vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn. „Die sog. MOND-Hypothese (Modifzierte Newton’sche Dynamik) geht dagegen davon aus, dass sich die Gravitationskräfte in den Galaxien anders verhalten als wir es von unserem Sonnensystem her kennen. Insbesondere bei sehr kleinen Beschleunigungen wird die Gravitation möglicherweise durch zusätzliche Effekte stärker, als es die Newton’schen Gesetze vorhersagen. Die MOND-Theorie braucht also keine Dunkle Materie.“

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Im März beschrieb das Team um Pieter van Dokkum von der Yale University im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/nature25676) die rund 65 Millionen Lichtjahre entfernte Zwerg-Galaxie „NGC1052-DF2“. Obwohl sie deutlich größer ist als unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, beinhaltet sie zugleich jedoch 250 Mal weniger Sterne und wird deshalb als eine „sehr diffuse Galaxie“ (engl. ultra diffuse galaxy, UDG) kategorisiert. Anhand von Vermessungen der Galaxienmasse, stellten die Astronomen fest, dass NGC 1052-DF2 selbst eine Masse aufweist, die in etwa der ihrer eigenen Sterne entspricht. Damit besitzt die Galaxie rund 400 Mal weniger Dunkle Materie als dies für eine Galaxie dieser Masse eigentlich vorhergesagt wird. „Möglicherweise könnte sie sogar überhaupt keine Dunkle Materie besitzen“, so die Autoren des Fachartikels. (…GreWi berichtete).

Hintergrund
Diese Frage nach der Existenz der Dunklen Materie ist eine der drängendsten Fragen der modernen Kosmologie. Dass es die sog. Dunkle Materie gibt, wurde schon vor mehr als 80 Jahren von dem Schweizer Astronomen Fritz Zwicky vorgeschlagen. Zwicky hatte erkannt, dass sich Galaxien in Galaxienhaufen so schnell bewegen, dass sie eigentlich auseinandertreiben müssten und postulierte daher die Anwesenheit einer unsichtbaren Materie, die aufgrund ihrer Masse genügend Gravitation ausübt, um das zu verhindern. Seine US-Kollegin Vera Rubin entdeckte in den 1970er Jahren ein ähnliches Phänomen bei Spiralgalaxien wie der Milchstraße: Sie rotieren so schnell, dass sie eigentlich durch die Fliehkraft auseinandergerissen werden sollten.

Heute sind die meisten Physiker davon überzeugt, dass die rätselhafte Dunkle Materie sogar rund 80 Prozent der Masse im Universum ausmacht. Da sie nicht mit Licht interagiert, ist sie für Teleskope unsichtbar. Allerdings würde ihre Existenz hervorragend zu einer Reihe weiterer Beobachtungen passen – etwa zur Verteilung der Hintergrundstrahlung, die sich als ein „Nachglühen“ des Urknalls bemerkbar macht. Auch die Anordnung und Entstehungsgeschwindigkeit der Galaxien im Universum lässt sich mit ihr gut erklären.

Ein direkter Nachweis, dass es sie gibt, steht aber trotz zahlreicher experimenteller Bemühungen bislang aus. Das brachte Astronomen zu der Hypothese, dass sich die Gravitationskräfte selbst möglicherweise anders verhalten als bislang gedacht. Diese Theorie trägt das Kürzel MOND (MOdifizierte Newton’sche Dynamik). Nach ihr gehorcht die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten Punkt den Newton’schen Gesetzen. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in Galaxien vorherrschen, wird die Gravitation dagegen erheblich stärker. Daher reißen Galaxien durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander. Auf den mysteriösen „Sternenkitt“ im Form von Dunkler Materie kann die MOND-Theorie deshalb verzichten. Die neue Studie gibt Astronomen die Möglichkeit die zwei Hypothesen zu überprüfen.

Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

In der jetzt von den Wissenschaftlern kritisierten Nature-Publikation der Astronomen um Pieter van Dokkum werde, so die aktuelle Kritik aus Bonn, „paradoxerweise auch geschlussfolgert, dass (mit dem fehlenden Nachweis Dunkler Materie innerhalb von NGC1052-DF2) die MOND-Theorie widerlegt wird. (…) Die Nature-Studie argumentiert, dass laut der MOND-Theorie die Gravitation in allen Galaxien erhöht sein müsste. Da dies bei der Zwerg-Galaxie NGC1052-DF2 nicht der Fall ist, sei die MOND-Gravitationstheorie damit widerlegt.“

In ihrem nun ebenfalls in „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-018-0429-z) ergänzend erschienenen Kommentar, stellen die Wissenschaftler um Kroupa dar, dass die Zwerg-Galaxie ohne Dunkle Materie sogar eine wichtige Vorhersage von MOND bestätigt: „NGC1052-DF2 ist nicht isoliert wie eine Insel im Ozean.“ Von Nachbargalaxien wirken Gravitationsfelder auf diese Zwerggalaxie ein und „ohne diese externen Effekte ist eine gültige Vorhersage der internen Dynamik dieser Zwerg-Galaxie in der MOND-Theorie nicht möglich“, erläutert Prof. Dr. Hosein Haghi vom Institute for Advanced Studies in Basic Sciences in Zanjan (Iran), der als DAAD-Fellow in Bonn für einige Monate geforscht hat. Werden dagegen diese externen Feldeffekte berücksichtigt, stimme NGC1052-DF2 mit der MOND-Theorie überein.

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