Wie man nach Leben sucht, wie wir es noch nicht kennen
![Symbolbild: Exemplar eines Fangschreckenkrebses (Gonodactylus smithii). Copyright: Jenny (via WikimediaCommons) / CC BY 2.0](https://www.grenzwissenschaft-aktuell.de/wp-content/uploads/2021/11/5016-fangschreckenkrebs-alien-630x578.jpg)
Copyright: Jenny (via WikimediaCommons) / CC BY 2.0
Die Astrobiologie konzentriert sich hauptsächlich auf die Suche nach Organismen mit einer ähnlichen Chemie wie der unsrigen, obwohl es auch ganz andere Arten und Form des Lebens geben könnte.
– Ein Gastbeitrag von Prof. Avi Loeb*
In meinem letzten Erstsemester-Seminar in Harvard erläuterte ich, dass der sonnennächste Stern, Proxima Centauri, hauptsächlich Infrarotstrahlung aussendet und einen Planeten, Proxima b, innerhalb seiner lebensfreundlichen Zone besitzt. Als Aufgabe an die Schüler fragte ich: „Angenommen, auf der Oberfläche von Proxima b kriechen Lebewesen. Wie würden wohl ihre infrarotempfindlichen Augen aussehen?“ Eine der klügsten Studentinnen der Klasse reagierte innerhalb von Sekunden mit einem Bild eines Fangschreckenkrebses, der Infrarotsicht besitzt. Die Augen dieser Garnelen sehen aus wie zwei Tischtennisbälle, die mit Bändern am Kopf befestigt sind (siehe Titelabbildung). „Es sieht auch aus wie ein Außerirdischer“, fügte sie hinzu.
Wenn wir versuchen, uns etwas vorzustellen, was wir noch nie gesehen haben, haften wir meist dennoch bei dem, was wir bereits kennen. Aus diesem Grund suchen wir auch bei unserer Suche nach außerirdischem Leben für gewöhnlich zunächst nach dem Leben, ähnlich dem, wie wir es bereits kennen.
Aber gibt es einen Weg, unsere Vorstellungskraft über Lebensformen, die wir noch gar nicht kennen, zu erweitern? In der Physik wurde bereits vor einem Jahrhundert ein analoger Weg beschritten, der sich in vielen Zusammenhängen bewährt hat. Dabei wurden und werden Laborexperimente durchgeführt, die die zugrunde liegenden Gesetze der Physik aufdecken, die wiederum vermutlich für das gesamte Universum gelten. Ein Beispiel: Ungefähr zur gleichen Zeit, als 1932 erstmals ein Neutron von James Chadwick im Labor entdeckt wurde, schlug Lev Landau vor, dass es Sterne aus Neutronen geben könnte. Später erkannten Astronomen, dass es tatsächlich allein in unserer Milchstraße etwa 100 Millionen solcher Neutronensterne gibt – und eine Milliarde Mal mehr im darüber hinaus beobachtbaren Universum. Kürzlich hat das LIGO-Experiment Gravitationswellensignale von Kollisionen zwischen Neutronensternen in kosmologischen Entfernungen nachgewiesen. Man geht heute davon aus, dass bei solchen Kollisionen jenes kostbare Gold entsteht, das wir hier auf der Erde unter anderem zu Eheringen schmieden.
Die Moral dieser Geschichte ist, dass Physiker sich etwas Neues im Universum vorstellen und am Himmel danach suchen konnten, indem sie Erkenntnisse aus Laborexperimenten auf der Erde nutzten.
Auch die Suche nach außerirdischem Leben kann einem ähnlichen Ansatz folgen.
Indem wir aus einer Suppe von Chemikalien im Labor auf verschiedene Weise synthetisches Leben erschaffen, könnten wir uns vielleicht neue Umgebungen vorstellen, in denen das Leben anders als auf der Erde entstanden sein und ablaufen könnte. Die Situation ist ähnlich wie beim Verfassen eines Rezeptbuchs mit Rezepten zum Backen verschiedener Kuchensorten. Um ein reichhaltiges Rezeptbuch zu schreiben, müssen wir mit vielen Arten von Chemikalien experimentieren.
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Und auch, wie ich in einer Arbeit mit Manasvi Lingam bemerkte, können in diesen Experimenten andere Flüssigkeiten als Wasser verwendet werden, das jedoch hier auf der Erde als wesentlich für jenes Leben betrachtet wurde, wie wir es kennen.
Einer meiner Harvard-Kollegen, der Nobelpreisträger Jack Szostak, steht kurz davor, in seinem Labor synthetisches Leben zu erschaffen. Jeder Erfolg mit einem einzigen Rezept kann Variationen nahelegen, die eine Vielzahl von Ergebnissen hervorbringen würden, die in unserem Rezeptbuch für synthetisches Leben zusammengestellt werden sollen. Indem wir aus unseren Laborexperimenten geeignete Umgebungsbedingungen identifizieren, können wir später am Himmel nach realen Systemen suchen, in denen diese Rezepte realisiert werden, genau wie damals bei Neutronensternen.
Bei diesem Ansatz sollten wir aber genauso vorsichtig sein wie bei der Erschließung der Kernenergie. Die Schaffung künstlicher Lebensvarianten in unseren Labors birgt das Risiko einer Umweltkatastrophe, wie man es aus der Frankenstein-Erzählung kennt. Solche Experimente müssen in isolierten Umgebungen durchgeführt werden, damit Missgeschicke mit dem Leben, das wir nicht kennen, das Leben, das wir kennen, nicht gefährden.
Obwohl die Oberflächen von Planeten und Asteroiden aus der Ferne auf biologische Signaturen hin untersucht werden können, könnte außerirdisches Leben unter der Oberfläche am häufigsten vorkommen. Lebensfreundliche Bedingungen könnten in fernen Ozeanen herrschen, die unter dicken Eisoberflächen liegen, nicht nur innerhalb von Monden der Gasriesen Saturns und Jupiter, Enceladus oder Europa, sondern auch auf frei von Sternen reisenden Objekten im interstellaren Raum.
In anderen Forschungen mit Lingam haben wir gezeigt, dass die Zahl der potenziell lebensfreundlichen Objekte die Zahl der Gesteinsplaneten in den habitablen Zonen um Sterne um viele Größenordnungen übersteigen könnte.
Die Anpassung des Lebens an extreme Umgebungen könnte hier also exotische Formen annehmen, wie es die Extremophilen auf der Erde beispielhaft zeigen. So wurde zum Beispiel kürzlich entdeckt, dass gefrorene mikroskopisch kleine Tiere 24.000 Jahre im sibirischen Permafrost überleben. Auch wurde festgestellt, dass mikrobielles Leben 100 Millionen Jahre unter dem Meeresboden überdauern kann. Diese Mikroben wurden während der warmen Kreidezeit geboren, als Dinosaurier die Erde beherrschten.
Im Sonnensystem wurden erdähnliche Bedingungen auf unseren nächsten Nachbarn Venus und Mars entdeckt. Die NASA hat kürzlich zwei neue Missionen zur Erforschung der Venus ausgewählt, und ihr Perseverance-Rover sucht schon jetzt nach Spuren von Leben auf dem Mars.
Das Logo des Galileo Projects.
Copyright: Galieo Project
Wenn außerirdisches Leben gefunden werden wird, so ist die zentrale Folgefrage, ob es sich um „Leben, wie wir es kennen“ handelt. Wenn nicht, werden wir erkennen, dass es mehrere chemische Wege zum natürlichen Leben gibt. Wenn wir jedoch Beweise für das Leben auf dem Mars oder der Venus finden, die dem irdischen Leben ähneln, könnte dies auf eine besondere Vorliebe für „Leben, wie wir es kennen“ hinweisen. Alternativ könnte das Leben durch Gesteine transportiert worden sein, die durch einen Prozess namens Panspermie von einem zum nächsten Planeten gereist sind.
Mein Student Amir Siraj und ich haben eine Arbeit veröffentlicht, die zeigt, dass die Übertragung von Leben durch Asteroiden vonstatten gegangen sein könnten. Wir sollten zudem die sehr unwahrscheinliche Möglichkeit im Auge behalten, dass Leben im inneren Sonnensystem sogar von einem „extrasolaren Gärtner“ hier ausgesät wurde – nämlich durch „gerichtete Panspermie“.
Meine lebhafteste Kindheitserinnerung sind die Gespräche beim Abendessen, bei denen die Erwachsenen im Raum so taten, als wüssten sie viel mehr, als sie tatsächlich wussten. Dies war zweifellos eine Form von „intellektuellem Make-up“, um ihre Standpunkte besser vertreten zu können. Wenn ich dann eine Frage stellte, auf die sie dann dennoch keine Antwort parat hatten, so taten sie diese Frage als irrelevant ab.
Meine Erfahrung als leitender Wissenschaftler ist da keine andere, insbesondere wenn ich die Frage stelle: „Sind wir das klügste Kind in unserer kosmischen Nachbarschaft?“ Die Wissenschaft bietet aber das Privileg, unsere kindliche Neugier zu bewahren. Der Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnisse durch Experimente ist nicht aufzuhalten. Wir hoffen, dass wir ein Rezept für künstliches Leben finden, das es uns ermöglicht, uns etwas viel Intelligenteres vorzustellen als das natürliche Leben, das wir bisher kennengelernt haben. Dies wird eine demütigende Erfahrung sein. Aber selbst, wenn wir eine höchste Intelligenz nicht in unseren Labors finden werden, so könnten aber ihre Nebenprodukte als Postsendung aus weit entfernten Nachbarschaften in der Milchstraße an unserem Himmel auftauchen. Und genau danach werden wir mit den Teleskopen des kürzlich angekündigten Galileo-Projekts suchen (…GreWi berichtete).
* Dieser Artikel erschien erstmals im englischsprachigen Original auf „ScientificAmerican.com“. Die hiesige deutschsprachige Übersetzung wurde unter ausdrücklicher Erlaubnis von Avi Loeb durch Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi) erstellt.
Über den Autor
Prof. Avi Loeb
Copyright/Quelle: Galileo ProjectAvi Loeb ist Gründungsdirektor der „Black Hole Initiative“ der Harvard University, Direktor des „Institute for Theory and Computation“ am „Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics“ und ehemaliger Vorsitzender der Astronomie-Abteilung der Harvard University (2011-2020). Er ist Vorsitzender des Beirats des „Breakthrough Starshot-Projekts“ und ehemaliges Mitglied des „President’s Council of Science and Technology“ sowie ehemaliger Vorsitzender des „Board on Physics and Astronomy of the National Academies“. Er ist Bestsellerautor von „Außerirdisch: Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten“ und Co-Autor des Lehrbuchs „Life in the Cosmos“.
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© Avi Loeb, ScientificAmerican.com, grenzwissenschaft-aktuell.de