Wie sich Bewusstsein bei Tieren erforschen lassen könnte
Bochum (Deutschland) – Dass auch einige nichtmenschliche Tierarten über eine bewusste Wahrnehmung verfügen, wird mittlerweile kaum mehr bestritten. Welche Tierarten Bewusstsein haben und wie sich das subjektive Erleben verschiedener Arten unterscheiden könnte, ist Inhalt wissenschaftlicher Kontroversen. Zwei Wissenschaftler haben diese Frage untersucht und Bewusstsein mit zehn verschiedenen Dimensionen beschrieben. Hinzu erarbeiten die Forscher, welche Verhaltensweisen jeweils Hinweise für das Vorliegen einer dieser Bewusstseinsdimensionen darstellen.
Wie Prof. Dr. Albert Newen und der Doktorand Leonard Dung vom Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum aktuell im Fachjournal „Cognition“ (DOI: 10.1016/j.cognition.2023.105409) beschreiben, sei in der Forschung nicht nur umstritten, welche Tiere Bewusstsein haben, sondern auch die Frage, wie Bewusstsein ausgeprägt sein kann. „Gemäß einer Auffassung ist Bewusstsein wie ein Lichtschalter, der entweder aus oder an ist: entweder eine Tierart hat Bewusstsein oder nicht“, erklärt Newen. Eine verfeinerte Idee lautet, dass man sich Bewusstsein wie einen Dimmer-Schalter vorstellen kann: Es kann zu verschiedenen Graden vorliegen.
Die beiden Wissenschaftler stimmen hingegen keiner dieser Theorien zu und definieren stattdessen zehn unterschiedliche Dimensionen, oder Aspekte, von Bewusstsein, die sich jedoch nicht unbedingt in eine Rangfolge bringen lassen. Dazu zählen sie beispielsweise ein reichhaltiges emotionales Innenleben, das Selbstbewusstsein oder eine bewusste Wahrnehmung. „Es ist nicht zwingend sinnvoll zu fragen, ob eine Maus mehr Bewusstsein hat als ein Oktopus“, veranschaulicht Albert Newen. „Je nach dem Aspekt von Bewusstsein, um den es geht, könnte die Antwort verschieden ausfallen.“
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Die beiden Forscher schlagen demnach vor, starke und schwache Hinweise auf Bewusstsein zu unterscheiden und diese jeweils bestimmten Aspekten von Bewusstsein zuzuordnen. „Wir hoffen, letztendlich messbar zu machen, wie sich das subjektive Erleben verschiedener Tierarten untereinander und im Vergleich zum Menschen unterscheidet“, fasst Leonard Dung zusammen.
Die einfache Verarbeitung von Sinnesreizen sei noch kein Hinweis auf Bewusstsein, so Newen und Dung. Beispielsweise zeigen Studien von Menschen mit Hirnschädigungen, dass für eine bewusste Wahrnehmung zwei Pfade im Gehirn zusammenspielen müssen, von denen einer Informationen über die räumliche Lage von Objekten verarbeitet, der andere für die bewusste Klassifikation von Objekten zuständig ist. Ist einer dieser Pfade geschädigt, können Menschen zwar noch korrekt mit Objekten interagieren – beispielsweise einen Brief in einen Briefkasten einwerfen –, ohne aber den Briefkasten als solchen wahrnehmen zu können. „Daher ist das bloße Aufnehmen von und Reagieren auf Sinnesreize, das wir in allen lebendigen Organismen finden, überhaupt kein nennenswerter Hinweis auf Bewusstsein“, so Leonard Dung.
Auch in der Tierwelt finden sich komplexere Formen von Wahrnehmung. Beispielsweise Affen, Papageien und Hunde sind in der Lage, wahrgenommene Objekte als Einzeldinge zu erkennen oder zu kategorisieren. Ein Graupapagei namens Alex konnte ein Objekt gleichzeitig als rot, rund und metallisch kategorisieren. Border Collies können Namen von bis zu 1.000 Objekten lernen und bestimmte Objekte erkennen und bringen. Diese Fähigkeiten des bewussten Wahrnehmens bezeichnen Newen und Dung als einen schwachen Hinweis auf Bewusstsein.
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Einen starken Hinweis auf bewusstes Wahrnehmen sehen die Forscher auch in einem Experiment, bei dem Menschen eine Computerbrille aufziehen und auf dem linken Auge ein Haus und auf dem rechten ein Gesicht gezeigt bekommen. „Sie sehen dabei keine Mischung, sondern erst eine Zeit lang das Haus, dann das Gesicht, dann wieder das Haus und so weiter. Analoge Experimente existieren mittlerweile auch für Tiere, sodass man testen kann, was sie gerade bewusst erfassen.“
Als weiteren starken Hinweis auf Bewusstsein sehen bezeichnen die Forscher zudem das sogenannte episodische Gedächtnis an, also Erinnerungen an vergangene Lebensereignisse, ihren Zeitpunkt und ihren Ort, wie es auch schon bei Ratten und einigen Vogelarten gut dokumentiert ist.
Das Forscherduo argumentiert, dass Bewusstsein eng mit komplexer Erinnerungs- und Lernfähigkeit sowie mit Wahrnehmungsvermögen verknüpft ist. Hilfreich für ein Verständnis des Bewusstseins wäre es, wenn sich Verhaltensbeobachtungen mit neurowissenschaftlichen Daten verbinden lassen würden, was in Einzelfällen bereits gelingt.
„Da wir jedoch auch beim Menschen die Hirngrundlagen von bewusstem Erleben noch nicht hinreichend kennen und wir einen Vergleich ganz verschiedener Tierarten mit stark unterschiedlicher Hirnorganisation anstreben, ist vorerst der Verhaltensvergleich auf zehn Dimensionen die beste Annäherung, die wir zur Verfügung haben“, folgert Albert Newen abschließend.
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Recherchequelle: Ruhr-Universität Bochum
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