Klosterneuburg (Österreich) – Neurologen ist es gelungen, anhand von Hirnaktivitätsmustern sozusagen die Gedanken von Versuchsratten zu lesen und anhand der Beobachtungen vorherzusagen, in welche Richtung sich das Tier in einem nächsten Schritt innerhalb eines Labyrinths bewegen und wann die Ratte einen Fehler machen wird.
Wie das Team um Jozsef Csicsvari und vom Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) aktuell im Fachjournal „Neuron“ (DOI: 10.1016/j.neuron.2018.11.015) berichtet, haben sie zunächst beobachtet, dass bestimmte Hirnaktivitäten der Richtungsentscheidung der Tiere vorausgehen.
Schon 2014 beobachteten John O’Keefe, May-Britt Moser und Edvard Moser, dass sog. Platzzellen Signale senden, wenn wir uns an einer bestimmten Position befinden – diese Entdeckung brachte den Wissenschaftlern damals den Nobelpreis für Medizin ein. Basierend darauf, welche Platzzelle feuert, können Wissenschaftler bestimmen, wo sich eine Ratte befindet.
Als die Forscher die Tiere dann in einem den Tieren aus vorigen Tests bekannten achtarmigen Labor-Labyrinth aussetzten, von denen drei Arme Futterbelohnungen enthielten, gelang es ihnen anhand dieser Beobachtungen nicht nur die Position der Ratten zu bestimmen, sondern nun auch vorherzusagen, für welchen Weg sich die Ratten jeweils als nächstes entscheiden würden – je nachdem, welches Neuron feuert während die Ratte eine Aufgabe löst, die ihr sog. Referenzgedächtnis testet.
Laut den Forschern trennt diese Aufgabe zwei verschiedene Formen des räumlichen Gedächtnisses: Referenz- und Arbeitsgedächtnis. „Das Referenzgedächtnis ist der Speicher, der es einer Ratte ermöglicht, sich daran zu erinnern, welche Arme Belohnungen enthalten und welche nicht. Das Arbeitsgedächtnis ist das Gedächtnis, das den Überblick darüber behält, welche Arme die Ratte noch nicht besucht hat und welche sie bereits besucht hat.“
Die Forscher testeten also das reine Arbeitsgedächtnis, indem sie das Experiment so modifizierten, dass nur Labyrinth-Arme die Belohnungen enthielten, geöffnet waren. Alternativ testeten sie das reine Referenzgedächtnis, indem sie bereits besuchte Arme schlossen.
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Danach fragten die Wissenschaftler, wie die Zellen feuern, wenn Ratten durch ein Labyrinth navigieren, und wie sich das Feuern zwischen Referenz- und Arbeitsgedächtnisaufgaben unterscheidet.
„In der Mitte des Labyrinths, bevor die Ratte den nächsten Arm betritt, entspricht die Abfolge der Zellen, die feuern, entweder der Route im zuletzt besuchten Arm genommen oder dem Arm, durch den die Ratte als nächstes laufen wird“, erläutern Csicsvari und Kollegen. „Bei den Tests des Referenzspeichers entspricht die Sequenz dem nächsten Labyrinth-Arm, den die Ratte besuchen wird. Das gibt den Forschern einen Einblick in die unmittelbaren Pläne der Ratte.“ Das Versuchstier denkt also an einen anderen Ort als den, an dem es sich befindet, wodurch die Forscher vorhersagen können, welchen Arm des Labyrinths die Ratte als nächstes betreten wird.
Tatsächlich können die Forscher damit aber nicht nur vorhersagen, wohin die Ratte als nächstes gehen wird, sie wissen auch, wann die Ratte einen Fehler machen wird: „Wenn die Ratte einen Fehler macht, erinnert sie sich an einen zufälligen Weg. Basierend auf den Platzzellen können wir vorhersagen, dass die Ratte einen Fehler machen wird, bevor sie ihn begeht“, erklärt Csicsvari. Die Vorhersage funktioniere allerdings nicht bei Aufgaben, die den Arbeitsspeicher testen: „Bei diesen entspricht das Feuern der Platzzellen jenem Arm, den das Tier zuletzt besucht hat.“
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Gehirn verschiedene Strategien zur Lösung von Referenz- und Arbeitsgedächtnisaufgaben einsetzt. „Mit dem Referenzspeicher navigiert das Gehirn und erinnert sich ‘das ein Ort ist, den ich besuchen muss‘. Dabei wird der Hippocampus genutzt, der für räumliche Aufgaben wichtig ist. Der Arbeitsspeicher ist abstrakter, jeder Ort ist ein Punkt auf der Liste zu besuchender Orte. Der Hippocampus signalisiert wahrscheinlich dem präfrontalen Kortex, wo die Ratte war, und der präfrontale Kortex verfolgt, welche Gegenstände er ‚abhaken‘ kann“, fasst Csicsvari abschließend zusammen.
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