Avi Loeb et al.: Wissenschaft vernachlässigt gezielt Suche nach außerirdischer Intelligenz
Cambridge (USA) – In einem Fachartikel kritisieren Omer Eldadi, Gershon Tenenbaum von der Reichman University und der Harvard-Astronom Avi Loeb eine massive Schieflage in der derzeitigen Gewichtung der staatlichen Finanzierung wissenschaftlicher Projekte zur Suche nach außerirdischem Leben und der Suche nach außerirdischer Intelligenz.

Copyright: David Jewitt/NASA/ESA/Space Telescope Science Institute (STScI)
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Wie Loeb, Eldadi und Tanenbaum vorab via Medium.com und in einer kommenden Ausgabe eines astronomischen Fachjournals erläutern, wird das geplante „Habitable Worlds Observatory“ (HWO) in den kommenden zwei Jahrzehnten über 10 Milliarden US-Dollar an Fördermitteln erhalten. Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischer Intelligenz (Search for Extraterrestrila Intelligence, SETI) hingegen wird nahezu leer ausgehen und dies trotz wachsender wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Faszination und Unterstützung.
Schieflage trotz öffentlicher und wissenschaftlicher Zustimmung
Laut Studien glauben 65 % der US-Bevölkerung und 58,2 % der Astrobiologen und Astrobiologinnen nicht nur an die Existenz außerirdischen Lebens sondern auch an die außerirdischer Intelligenz. Dennoch ist SETI seit der Einstellung der NASA-Programme 1993 fast vollständig von staatlicher Förderung ausgeschlossen. Während Milliarden in die Suche nach mikrobiellen Biosignaturen auf Exoplaneten, also in die Astrobiologie fließen, wird die Untersuchung sogenannter Technosignaturen – Hinweise auf Technologien fremder Zivilisationen – ignoriert.
Interstellare Objekte bleiben ungenutzt
Diese Forschungslücke zeigt sich besonders deutlich an aktuellen Beispielen wie dem interstellaren Objekt „3I/ATLAS“, das in den kommenden Wochen unser Sonnensystem durchqueren wird – in einer Flugbahn, die Beobachtungen von der Erde aus weitgehend unmöglich macht. Die Autoren weisen darauf hin, dass trotz der wissenschaftlichen Bedeutung solcher Objekte keine finanzierten Missionen existieren, um sie gezielt zu untersuchen oder abzufangen. Schon frühere Besucher wie ’Oumuamua (2017) und 2I/Borisov (2019) blieben aus Mangel an Vorbereitung und Finanzierung ebenfalls ungenutzt.
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Verzerrte wissenschaftliche Standards
Die Tanenbaum, Eldadi und Loeb argumentieren, dass die oft zitierte Maxime „außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Beweise“ (Carl Sagan) mittlerweile als Vorwand dient, um SETI-Forschung pauschal zu delegitimieren. Stattdessen attestieren die Autoren, dass vielmehr die Annahme, laut der die Erde die einzige technologische Zivilisation im Universum beherberge, die eigentliche „außergewöhnliche Behauptung“ darstelle. „Solange jedoch keine angemessenen Mittel bereitgestellt werden, bleibt der Nachweis solcher Signaturen zwangsläufig aus – ein selbstgemachtes Dilemma.“
Institutionelle Voreingenommenheit und historisches Erbe
Die Marginalisierung von SETI ist laut den Loeb und Kollegen keine Folge fehlender wissenschaftlicher Relevanz, sondern Ausdruck institutioneller Trägheit und Abhängigkeit von einst eingeschlagenen Richtungen. Seit dem Kongressbeschluss von 1993 gegen die staatliche Förderung SETI in den USA werde das Thema in Gutachtergremien systematisch abgewertet: Junge Forschende meiden es aus Karrierekalkül, und die vorhandene private Finanzierung werde als Argument genutzt, um sich weiterhin aus öffentlicher Verantwortung zu ziehen.
Wissenschaftliche Vorteile von Technosignaturen
Dabei könnten, so das Autorentrio, technologische Signaturen laut einer Studie von Wright et al. (2022) sogar deutlich leichter zu entdecken sein als biologische, weil sie langlebiger, potenziell zahlreicher, klar als künstlich erkennbar sein und ein größeres Spektrum an Energiesignaturen abdecken könnten. Zudem könnten sich Spuren technologischer Zivilisationen über Millionen Jahre erhalten – weit länger als biosignaturtypische Gase in den Atmosphären von Exoplaneten.
Öffentliche Reife und psychologische Belastbarkeit
Die Autoren unterstreichen auch, dass der oft bemühte Mythos vom Massenpanik-Szenario nach Kontakt mit außerirdischer Intelligenz einer empirischen Überprüfung nicht standhalte. „Studien zeigen, dass Menschen sich selbst für stabil genug halten, eine solche Entdeckung zu verkraften.“ Die Angst vor gesellschaftlichem Chaos entpuppe sich als „Third-Person-Effekt“: Man glaubt, andere würden in Panik geraten, nicht aber man selbst. Tatsächlich könnte eine solche Entdeckung laut einigen Sozialpsychologen sogar als identitätsstiftendes Ereignis für die Menschheit wirken.
Forderung nach Kurswechsel in der Forschungsförderung
Eldadi, Tanenbaum und Loeb fordern denn auch eine institutionelle Neubewertung der SETI-Forschung. Dazu gehöre die Öffnung von Gutachtergremien, eine stärkere Einbindung gesellschaftlicher Interessen sowie verbindliche Quoten für visionäre Hochrisikoforschung im Rahmen nationaler Forschungsstrategien. Die Annahme, dass nur die Suche nach Biosignaturen „seriös“ seien, sei wissenschaftlich nicht haltbar und gesellschaftlich rückständig.
Die bevorstehende Passage von 3I/ATLAS markiert für die drei Wissenschaftler denn auch ein „erneutes Versäumnis, das durch konsequente Unterfinanzierung provoziert wurde“. Der systematische Ausschluss von SETI aus der öffentlichen Forschung sei nicht durch Wissenschaft, sondern durch kulturelle Vorurteile motiviert. Dabei könne gerade die gezielte Suche nach technologischen Signaturen nicht nur Antworten auf die ältesten Menschheitsfragen liefern, sondern auch neue technologische und gesellschaftliche Impulse setzen – sofern man den Mut aufbringt, sie ernsthaft zu betreiben.
– Den vollständigen vorab veröffentlichten Artikel von Tanenbaum, Eldadi und Loeb finden Sie HIER
WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
Ist 3I/ATLAS ein außerirdisches Raumschiff? Kontroverse um das dritte interstellare Objekt 21. Juli 2025
Frühere GreWi-Artikel zu SETI
Recherchequelle: Loeb, Medium.com
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