Ballonsonde empfängt anomale Radiosignale aus dem Tiefeneis der Antarktis
University Park (USA) – Es klingt wie der Anfang eines Science-Fiction-Klassikers: Mit einem ballongetragenen Detektor haben US-Wissenschaftler ungewöhnliche Radiosignale aufgefangen, die aus den Tiefen des Eispanzers der Antarktis stammen und mit dem derzeitigen Verständnis der Teilchenphysik nicht vereinbar sind.

Copyright: Stephanie Wissel / Penn State University
Inhalt
Wie das internationale Team um die Physikprofessorin Dr. Stephanie Wissel von der Penn State University aktuell im Fachjournal „Physical Review Letters“ (DOI: 10.1103/PhysRevLett.134.121003) berichtet, haben sie die ungewöhnlichen Radiopulse im Rahmen des sogenannten ANITA-Experiments (Antarctic Impulsive Transient Antenna) mit einem von einem Ballon getragenen Detektor registriert, der hoch über dem antarktischen Eis schwebt und Radiowellen von hochenergetischen kosmischen Teilchen – sogenannten kosmischen Strahlen – aufspüren soll.
Hintergrund
ANITA besteht aus einer Reihe von Radioantennen, die in etwa 40 Kilometern Höhe über der Antarktis fliegen und nach Spuren sogenannter Tau-Neutrinos suchen. Diese schwer nachweisbaren Elementarteilchen entstehen beispielsweise bei Sternexplosionen, sog. Supernovae, oder durch den Urknall und sind bekannt dafür, extrem selten mit Materie zu interagieren. Sollte ein Neutrino doch mit dem Eis der Antarktis wechselwirken, entsteht ein sogenanntes Tau-Lepton, Ein Teilchen, das beim Austritt aus dem Eis zerfällt und eine Radiowelle – eine sogenannte „Luftdusche“ – erzeugt, die dann von den ANITA-Antennen registriert werden kann. Durch Rückverfolgung dieser Signale lassen sich Informationen über ihren Ursprung gewinnen – potenziell über Ereignisse in Milliarden Lichtjahren Entfernung.
Signale aus unmöglichem Winkel
In den nun analysierten Daten entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Signale, die aus einem Winkel von etwa 30 Grad unterhalb der Eisoberfläche zu kommen schienen – ein Bereich, aus dem laut aktueller Physik keine Signalquelle erreichbar ist. Denn Radiowellen, die aus so tiefen Winkeln durch tausende Kilometer Gestein reisen müssten, würden auf dem Weg absorbiert werden und dürften den Detektor nicht erreichen. „Unsere Berechnungen zeigen, dass das Signal zu weit durch feste Materie wandern musste, um überhaupt noch nachweisbar zu sein“, erklärt Wissel.

Copyright/Quelle: Stephanie Wissel / Penn State University, Physical Review Letter (2025)
Nachdem die Forschenden zunächst überprüft hatten, ob die Signale durch bekannte Teilchen wie Neutrinos erzeugt worden sein könnten, konnte diese Möglichkeit aufgrund der extremen Eintrittswinkel ausgeschlossen werden. „Wir wissen zwar noch nicht, was die Anomalien verursacht hat, aber sie waren sehr wahrscheinlich keine Neutrinos“, so die Forscherin.
Hintergrund: Neutrinos
Neutrinos sind für die Astrophysik von großer Bedeutung. Sie durchqueren das Universum nahezu ungehindert und liefern Informationen über Prozesse, die mit elektromagnetischer Strahlung nicht erfassbar sind. Selbst ein einziges registriertes Neutrino kann Hinweise auf kosmische Phänomene liefern, die sich jenseits der Reichweite von Teleskopen befinden. Weil Neutrinos jedoch so selten mit Materie wechselwirken, sind hochspezialisierte, extrem empfindliche Detektoren wie ANITA notwendig. Weitere Experimente sind „IceCube“ (Antarktis) und das in Argentinien gelegene Pierre-Auger-Observatorium.
Kein Abgleich mit anderen Detektoren
Die Wissenschaftler verglichen die ANITA-Daten mit jenen anderer Detektoren, insbesondere mit IceCube und dem Pierre-Auger-Observatorium, um festzustellen, ob ähnliche Signale dort ebenfalls registriert wurden. Die Analyse ergab jedoch keine Übereinstimmungen. „Das bedeutet, dass das ungewöhnliche Signal weder durch bekannte kosmische Strahlen noch durch Neutrinos erklärt werden kann, weshalb es derzeit als „anomal“ eingestuft wird.
Einige Theorien vermuten, dass es sich um Hinweise auf bislang unbekannte Teilchen oder gar Dunkle Materie handeln könnte. Die mangelnde Reproduzierbarkeit durch andere Experimente schränkt diese Hypothesen jedoch stark ein.
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Der nächste Schritt: PUEO
Angesichts der anomalen Signale aus dem Weis arbeiten Wissel und ihr Team bereits an einem Nachfolgeinstrument: dem PUEO-Detektor. Dieser soll größer, empfindlicher und präziser als ANITA sein und in Zukunft weitere Erkenntnisse liefern. „PUEO wird mit höherer Sensitivität arbeiten. Wenn ähnliche Signale erneut auftreten, könnten wir sie besser analysieren und vielleicht endlich verstehen, was dahintersteckt“, sagt Wissel.
Eine der offenen Fragen betrifft dabei auch mögliche physikalische Effekte nahe der Eisoberfläche oder am Horizont, die die Ausbreitung von Radiowellen beeinflussen könnten – ein Gebiet, das noch wenig erforscht ist. Auch diese Aspekte sollen mit dem neuen Detektor weiter untersucht werden.
Recherchequelle: Penn State University
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