Studie stellt Mythos um Menschenopfer der Maya infrage
Nashville (USA) – Neben seiner hoch entwickelten Kultur mit komplexen Pyramidenbauten und faszinierenden Kunstwerken, ist das antike indigene Volk der Maya auch für seine zahlreichen Territorialkriege und nicht zuletzt für seine grausamen Menschenopfer bekannt. Eine aktuelle Studie stellt gängige Interpretation bestimmter Maya-Bestattungen als Hinweise auf Menschenopfer infrage. Muss unser Bild der Maya korrigiert werden?

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Inhalt
Wie die Archäologin Dr. Angelina J. Locker von der HHH aktuell im „Journal of Anthropological Archaeology“ (DOI: 10.1016/j.jaa.2025.101681) berichtet, konzentrierte sie ihre Untersuchung konzentriert auf sekundäre Bestattungen aus der späten vorklassischen Periode (ca. 300 v. Chr. bis 250 n. Chr.) in der Nähe der antiken Maya-Stadt Dos Hombres im heutigen Belize.
Neue Perspektiven auf Maya-Bestattungspraktiken
Traditionell wurden Funde von isolierten Schädeln, Kiefern, Zähnen oder langen Knochen in Gräbern als Belege für rituelle Gewalt oder Opferhandlungen interpretiert. Dr. Locker schlägt nun jedoch vor, dass diese Überreste vielmehr Ausdruck von Ahnenverehrung und der Schaffung symbolischer Orte (sog. „placemaking“) sein könnten.
Wie die Forscherin ausführt, bestand in der Maya-Kosmologie die Seele aus mehreren Komponenten: „Baah“ (das Selbst, repräsentiert durch den Kopf), „Ik’“ (der Atem der Seele, assoziiert mit Wind, Jade und Zähnen), „Ch’ulel“ (die Essenz im Herzen und Blut) und „Wahy“ (Begleitgeister, oft Tiere). „Daher könnten bestimmte Körperteile wie Schädel oder Zähne als Träger spiritueller Bedeutung angesehen worden sein, ohne dass ihr isoliertes Vorhandensein oder Ansammlungen davon in fremden Gräbern auf gewaltsame Rituale hinweist.“
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Fallstudie: Die Dancer-Gruppe
In der Studie analysierte Locker insbesondere die sogennannte „Dancer-Gruppe““, eine ländliche Gemeinschaft etwa 1,5 km westlich von Dos Hombres. Hier wurden drei gebündelte Bestattungen entdeckt, wobei sich die Wissenschaftlerin auf „Bestattung Episode 2“ konzentrierte. „Die Funde umfassen Überreste von drei Individuen, darunter isolierte Kieferknochen und Zähne. Solche Funde wurden bisher oft als Hinweise auf Menschenopfer gedeutet.“ Locker argumentiert jedoch, dass sie ebenso gut Teil von Ahnenritualen gewesen sein könnten, die der Stärkung der Gemeinschaft und der Verbindung zu den Vorfahren dienten.
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Bedeutung für die Archäologie
Diese Forschung trägt zu einer wachsenden Diskussion bei, die vor vorschnellen Interpretationen archäologischer Funde warnt. „Anstatt alle ungewöhnlichen Bestattungspraktiken als Opferhandlungen zu deuten, sollte die kulturelle und spirituelle Komplexität der Maya berücksichtigt werden.“ Zugleich betont die Studie die Notwendigkeit, archäologische Kontexte differenziert zu analysieren und die vielfältigen Bedeutungen von Bestattungspraktiken in Betracht zu ziehen.
Allerdings gilt auch zu beachten, dass diese Studie die Existenz von Menschenopfern bei den Maya nicht grundsätzlich infrage stellt, sondern vielmehr die Interpretation bestimmter archäologischer Funde neu bewertet. Andere Studien, wie beispielsweise genetische Analysen von Überresten in Chichén Itzá, belegen durchaus rituelle Menschenopfer, insbesondere von männlichen Zwillingspaaren, die mit dem Schöpfungsmythos der Maya in Verbindung gebracht werden.
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Recherchequelle: Journal of Anthropological Archaeology
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