Avi Loeb: Eine Vision für ein UAP-Manhattan-Projekt
Die Entwicklung der Atombombe hatte unter allen wissenschaftlichen und technischen Unternehmungen des 20. Jahrhunderts die größte geopolitische Auswirkung. Könnte ein neues „Manhattan-Projekt“ zu unidentifizierten Flugobjekten und Phänomenen (UFOs / UAP) das bedeutendste wissenschaftliche und durch KI gesteuerte Vorhaben des 21. Jahrhunderts werden? In seinem Gastbetrag skizziert Haravard-Astronom Prof. Avi Loeb diese Vision.

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– Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag von Prof. Dr. Avi Loeb, der am 5. Mai 2025 im englischsprachigen Original unter dem Titel „A Vision for a UAP-Manhattan Project“ von Prof. Avi Loeb auf Medium.com erstveröffentlicht wurde. Der Text wurde – mit freundlicher Genehmigung des Autors (A. Loeb) – durch www.GrenzWissenschaft-Aktuell.de (GreWi) ins Deutsche übersetzt. Die vom Autor geäußerten Ansichten sind seine eigenen.
Während eines Großteils unseres Erwachsenenlebens erfinden wir Geschichten oder glauben an Geschichten, die andere erzählen, statt nach Beweisen für diese Erzählungen zu suchen. Der Grund ist einfach: Beweisgestütztes Denken ist anstrengend, Geschichtenerzählen hingegen leicht. Doch in den Worten von John F. Kennedy während seiner Rede an der Rice University im Jahr 1962 (meinem Geburtsjahr):
„Wir entscheiden uns dafür, […] Dinge zu tun, nicht weil sie einfach sind, sondern weil sie schwer sind, weil dieses Ziel dazu dient, das Beste unserer Energie und Fähigkeiten zu organisieren und zu messen, weil diese Herausforderung eine ist, die wir bereit sind anzunehmen, die wir nicht aufschieben wollen und die wir zu gewinnen gedenken – und andere auch.“
Die Neigung, lieber Geschichten zu erzählen als die harte Arbeit des Beweissammelns auf sich zu nehmen, betrifft auch manche Wissenschaftler. Als ich eine Expedition leitete, um auf Basis von NASA-Daten Meteoritenmaterial vom Boden des Pazifiks zu bergen, veröffentlichten einige Wissenschaftler Arbeiten, in denen sie bezweifelten, dass die Daten über diesen Meteor korrekt seien, und behaupteten, wir würden nichts finden. Nachdem wir dann tatsächlich meteorisches Material mit einer ungewöhnlichen chemischen Zusammensetzung geborgen hatten, behaupteten dieselben, es handle sich um Kohleasche und wir seien wahrscheinlich am falschen Ort gewesen. Diese Wissenschaftler zogen es vor, Geschichten zu erzählen, ohne überhaupt Zugang zu dem von uns geborgenen Material zu haben, anstatt sich wie mein Forschungsteam der mühsamen, beweisbasierten Wissenschaft zu widmen.
Die Faszination für das Erzählen von Geschichten ist in der Politik noch weiter verbreitet. Während meines kürzlichen Besuchs in Washington D.C. hörte ich Geschichten darüber, dass die US-Regierung im Besitz von Fahrzeugen sei, die von außerirdischen Zivilisationen gebaut wurden. Um solche Geschichten glauben zu können, müssten wir diese Fahrzeuge selbst sehen – aus demselben Grund, aus dem wir ein gebrauchtes Auto nicht ohne Inspektion kaufen würden.
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Vor tausend Jahren waren viele Menschen bereit, unter Eid mit großer Überzeugung zu bezeugen, dass die Erde im Zentrum des Universums stehe. Eine damalige Meinungsumfrage hätte vermutlich ergeben, dass diese Ansicht zweifellos korrekt sei. Und doch gab selbst der Vatikan 1992 zu, dass diese weit verbreitete Geschichte aus alter Zeit falsch war.
Ja, wir können unser Wissen erweitern – solange wir neugierig und mutig genug sind, Beweise zu sammeln, die unseren bisherigen Annahmen widersprechen könnten.
Der Erwerb neuen Wissens erfordert Finanzierung für entsprechende Forschung. Außergewöhnliche Behauptungen erfordern nicht außergewöhnliche Beweise, sondern außergewöhnliche Mittel. Das „Manhattan-Projekt“, das die erste Atombombe entwickelte, kostete bis 1945 rund zwei Milliarden Dollar – heute wären dies über 30 Milliarden Dollar. Ähnlich wie Atomwaffen könnten UAPs (unidentifizierte anomale Phänomene) neue Technologien von höchster sicherheitspolitischer Relevanz darstellen. Ihre Erforschung verdient mindestens 3 Prozent des Manhattan-Projekt-Budgets – also rund eine Milliarde Dollar.
In einem Interview mit Natasha Zouves von NewsNation sagte ich gestern Abend, dass der Kongress eine Milliarde Dollar für ein „UAP-Manhattan-Projekt“ bereitstellen sollte, das KI-Software entwickelt, um in modernsten Sensorsystemen nach Anomalien zu suchen – ein landesweiter Versuch, die Natur von UAPs zu klären. Selbst unter der konservativen Annahme, dass alle derart detektierten technologischen Objekte irdischen Ursprungs sind, würde das Verteidigungsministerium von einem neuen Frühwarnsystem gegen nationale Bedrohungen profitieren.

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Wir müssen auch Objekte identifizieren können, die kleiner sind als der chinesische Spionageballon von 2023, und verhindern, dass wir in wiederholten Berichten an den Kongress durch den Geheimdienst eingestehen müssen, dass UAPs über unseren Köpfen unterwegs sind. Alle Objekte am Himmel müssen identifiziert werden, damit Steuerzahler sich sicher fühlen und überzeugt sind, dass das Verteidigungsbudget von über einer Billion Dollar im Haushaltsjahr 2026 den Schutz der amerikanischen Bevölkerung vor gegnerischen Drohnen und Ballons gewährleistet.
Als Sahnehäubchen birgt das UAP-Manhattan-Projekt außerdem die Möglichkeit, ein seltenes außerirdisches Fahrzeug zu entdecken und die Frage zu beantworten: „Sind wir allein?“ Es wäre unklug, zehn Milliarden Dollar in das „Habitable World Observatory“ der NASA zur Suche nach Mikroben auf fernen Exoplaneten zu investieren, ohne wenigstens zehn Prozent dieses Betrags für die Untersuchung technischer Anomalien in Erdnähe bereitzustellen.
Angesichts des Potenzials, außerirdische Technologie zu entdecken, bin ich zuversichtlich, dass ein UAP-Manhattan-Projekt die besten wissenschaftlichen Köpfe für diese Aufgabe gewinnen würde. Das derzeitige UAP-Untersuchungsbüro (All-Domain Anomaly Resolution Office, AARO) im Pentagon konzentrierte sich bisher fast ausschließlich auf vergangene Daten, die nur begrenzt nützlich sind, da sie schwer überprüfbar sind. Zudem beschäftigt das AARO nicht die besten Wissenschaftler. Das UAP-Manhattan-Projekt hingegen würde neue KI-Tools entwickeln, um riesige Datenmengen, die durch modernste Kameras und Mehrwellenlängensensoren erfasst werden, multimodal auszuwerten.
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Mit einer Milliarde Dollar Förderung könnte das UAP-Manhattan-Projekt neue Beweise sammeln und UAPs von der Kategorie „unidentifizierte Anomalien“ in die Kategorie „identifizierte Phänomene“ überführen. Ein Nobelpreis für die Beantwortung der größten wissenschaftlichen Frage wäre ein willkommener Bonus. Doch zumindest würden die amerikanischen Steuerzahler nachts besser schlafen – in dem Wissen, dass wir alle Objekte am Himmel beobachten und verstanden haben.
Prof. Dr. Avi Loeb ist Leiter des „Galileo-Projekts“ in Harvard, einer systematischenwissenschaftlichen Suche nach Beweisen für außerirdische technologische Artefakte. Loeb ist Gründungsdirektor von Harvards Black Hole Initiative, Direktor des Institute for Theory and Computation am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und Vorsitzender des Beirats des Breakthrough Starshot-Projekts. Er ist Autor des Buches „Außerirdisch: Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten“.
© Avi Loeb