Mars-Rätsel gelöst? CO₂-Eisblöcke graben mysteriöse Rinnen in Kraterwände
Utrecht (Niederlande) – Ein seit Jahren ungelöstes geologisches Rätsel des Roten Planeten scheint geklärt: Die auffälligen, mäandernden Rinnen an in den Kraterwänden, sogenannte Linear Dune Gullies, wurden offenbar nicht durch Wasser oder Gesteinsrutschungen, sondern durch wandernde Trockeneisblöcke aus CO₂ geformt.

Quelle/Copyright: NASA/JPL/University of Arizona
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Zu diesem Ergebnis kommt die Geowissenschaftlerin Dr. Lonneke Roelofs von der Universität Utrecht. Anhand von Experimenten wurde nun erstmals gezeigt, wie sublimierende CO₂-Blöcke die ungewöhnlichen Landschaftsstrukturen hinterlassen können. Wie die Forschenden im Fachjournal „Geophysical Research Letters“ (DOI: 10.1029/2024GL112860) berichten, liefern die Experimente den bislang überzeugendsten Beweis für ein Phänomen, das auf der Erde nicht vorkommt.
„Wie Sandwürmer auf dem Mars“
In ihren Laborversuchen beobachteten Roelofs und Kollegen, wie sich Blöcke aus CO₂-Eis in einer künstlichen Marsumgebung buchstäblich durch den Sand „gruben“. „Es fühlte sich an, als würde ich den Sandwürmern aus Dune zusehen“, sagt die Wissenschaftlerin. Frühere Modelle hatten bereits vermutet, dass CO₂-Eis eine Rolle spielt, doch erst jetzt konnte der Prozess auch experimentell nachvollzogen werden.
Auf dem Mars entstehen die CO₂Eisblöcke während der extrem kalten Winter, wenn Temperaturen bis auf minus 120 °C fallen. Dabei überzieht sich die Oberfläche der südlichen Dünen mit bis zu 70 Zentimeter dicker CO₂-Eisschicht. Im Frühling erwärmt sich der Sand, das Eis beginnt an der Unterseite zu sublimieren – also direkt vom festen in den gasförmigen Zustand überzugehen. Dabei können Stücke dieser Eisschichten abbrechen und in den Sand fallen. Hierzu erzeugt das aufsteigende Gas hohen Druck unter dem Eisblock, wodurch dieser explosionsartig Sand wegsprengt. Der Block gräbt sich dadurch in den Hang ein und beginnt, sich eigenständig talwärts zu bewegen – fortwährend angetrieben durch die fortgesetzte Sublimation.
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„Wir sahen, wie der Block sich immer weiter in den Hang eingrub und beim Abwärtsgleiten Rinnen mit kleinen seitlichen Wällen hinterließ – exakt wie die Strukturen, die wir auf Marsaufnahmen finden“, erklärt Roelofs.
Mars im Miniaturformat
Gemeinsam mit Masterstudentin Simone Visschers führte Roelofs die Versuche in der sogenannten Mars Chamber der Open University in Milton Keynes (UK) durch. Diese Versuchsanlage kann Temperatur, Luftdruck und Atmosphäre des Mars präzise simulieren. Erst nach mehreren Testläufen gelang es, den optimalen Hangwinkel zu finden, bei dem der CO₂-Block in Bewegung geriet.
Die Experimente zeigten außerdem, dass der Prozess stoppt, sobald der Block den Fuß der Düne erreicht. Dort sublimiert das verbleibende CO₂ dann vollständig. Zurück bleibt eine runde Vertiefung – genau wie sie etwa in Aufnahmen des HiRISE-Orbiters an den Enden vieler Marsrinnen zu erkennen sind.
Kein Wasser nötig
Die Studie widerlegt damit erneut die Annahme, dass flüssiges Wasser an der Bildung solcher Strukturen beteiligt ist. Stattdessen erweist sich Kohlendioxideis als aktiver geologischer Akteur, der im jahreszeitlichen Wechsel ganze Dünenlandschaften verändert.
Roelofs hatte bereits in früheren Arbeiten gezeigt, dass sublimierendes CO₂ auf dem Mars auch Trümmerlawinen und Geröllflüsse auslösen kann. Doch die nun untersuchten Rinnen unterscheiden sich morphologisch deutlich: Sie sind tiefer, schmaler und deutlich regelmäßiger – ein Hinweis auf das wiederholte Gleiten einzelner Eisblöcke.
Ein Blick über den Tellerrand
Warum fasziniert der Mars Forscherinnen wie Roelofs so sehr? „Er ist unser nächster Nachbar und die einzige Felswelt in der Nähe der ‚grünen Zone‘ unseres Sonnensystems, also der Region, in der flüssiges Wasser möglich wäre“, sagt sie. „Wer verstehen will, wie Leben entsteht, muss verstehen, wie sich Planetenlandschaften entwickeln.“
Darüber hinaus, so Roelofs, helfe Marsforschung dabei, Prozesse der irdischen Geomorphologie neu zu denken: „Wenn man außerhalb der gewohnten Bedingungen forscht, stellt man automatisch andere Fragen – und genau das liefert oft neue Erkenntnisse auch für die Erde.“
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Recherchequellen: Utrecht University / Geophysical Research Letters
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