Alternativen zu Wasser: Auf Exoplaneten könnte es andere lebensfördernde Flüssigkeiten geben
Cambridge (USA) – Wasser gilt als Grundvoraussetzung für Leben – auf der Erde, wie auch auf anderen Himmelskörpern im Sonnensystem und darüber hinaus. Eine neue MIT-Studie stellt diese Annahme nun infrage: Unter bestimmten Bedingungen könnten auch völlig andere Flüssigkeiten, sogenannte ionische Flüssigkeiten, Lebensprozesse ermöglichen und selbst auf heißen und wasserarmen Gesteinswelten die Funktion von Wasser übernehmen.

Copyright: musgrove (via Pixabay.com) / Pixabay License
Ionische Flüssigkeiten sind Salzverbindungen, die noch bei Temperaturen unter 100 Grad Celsius flüssig bleiben. Sie entstehen etwa, wenn Schwefelsäure mit stickstoffhaltigen organischen Verbindungen reagiert. Wie das Team um Rachana Agrawal und Sara Seager vom Massachusetts Institute of Technology aktuell im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS, DOI: 10.1073/pnas.2425520122) berichtet, könnten solche Reaktionen auch auf anderen Planeten oder Monden stattfinden. Schwefelsäure ist ein Nebenprodukt vulkanischer Aktivität und organische Stickstoffverbindungen wurden bereits auf Asteroiden, Monden und Planeten unseres Sonnensystems nachgewiesen. In beiden Fällen – und es könnte noch weitere Varianten geben – handelt es sich also um potenziell weit verbreitete Stoffe.
Ein entscheidender Vorteil: Ionische Flüssigkeiten haben einen niedrigen Dampfdruck, verdunsten also praktisch nicht. Sie können also auch bei hohen Temperaturen und sehr niedrigem Druck bestehen, Bedingungen, unter denen Wasser längst gasförmig wäre. Bestimmte Biomoleküle wie Proteine bleiben zudem in diesen Flüssigkeiten stabil, was sie zu einem potenziellen Medium für exotische Lebensformen macht.
Die Entdeckung erfolgte eher zufällig im Rahmen der Vorbereitungen für geplante Venus-Missionen. Dort wollte das Team untersuchen, wie sich Schwefelsäure aus Atmosphärenproben entfernen lässt, um organische Rückstände zu analysieren. Bei Experimenten mit Schwefelsäure und der Aminosäure Glycin verdampfte die Säure zwar größtenteils – eine zähe Restschicht jedoch blieb zurück. Diese erwies sich als ionische Flüssigkeit, die durch einen Protonenübergang zwischen Säure und organischer Verbindung entstanden.
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Daraufhin testeten die Forschenden über 30 verschiedene stickstoffhaltige organische Verbindungen in Kombination mit Schwefelsäure, unter variierenden Temperaturen, Drücken und auf Basaltgestein. Das Ergebnis: Ionische Flüssigkeiten bildeten sich in fast allen Szenarien – selbst bei bis zu 180 °C und Drücken weit unterhalb des irdischen Luftdrucks. Auf den Gesteinsproben sammelte sich trotz Versickerung der Säure in die Poren weiterhin Flüssigkeit an.
Dieses faszinierende Szenario für fremde Welten skizziert Seager so: „Ein heißer, trockener Planet mit vulkanischem Schwefelsäure-Ausstoß, der auf organisches Material trifft. Dabei könnten sich kleine ‚Flüssigkeitsoasen* bilden, die über Jahre oder gar Jahrtausende bestehen – und womöglich einfachen, nicht-wasserbasierten Lebensformen als Habitat dienen.“
Bisher werden ionische Flüssigkeiten auf der Erde fast ausschließlich industriell hergestellt. Natürlich vorkommende Beispiele sind extrem selten; bekannt ist nur ein Fall bei Ameisen, deren rivalisierende Giftstoffe eine solche Flüssigkeit bilden. Dass sie sich jedoch unter planetaren Bedingungen spontan bilden können, deutet auf eine mögliche neue Klasse habitabler Welten hin: „Arme, wasserarme Gesteinsplaneten mit Oberflächen aus ionischen Flüssigkeiten“.
Laut den Forscherinnen und Forschern öffnet die Entdeckung „eine Art Büchse der Pandora“ neuer Fragestellungen: Welche Biomoleküle könnten in ionischen Flüssigkeiten existieren? Welche Stoffwechselprozesse wären dort möglich? Und wie könnten Raumsonden diese exotischen Flüssigkeiten nachweisen?
Seagers Team will nun gezielt untersuchen, welche Lebensbausteine in solchen Medien überdauern oder gar gedeihen können. Für die Astrobiologie bedeutet dies eine deutliche Ausweitung der sogenannten habitablen Zone – jener Abstandsregion, innerhalb derer ein Planet seinen Stern umkreisen muss, damit aufgrund gemäßigter Temperaturen Wasser in und die Möglichkeit, dass Leben auch dort existieren könnte.
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Recherchequelle: MIT, PNAS
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