Geologen finden vermutliche Reste der 4,5 Milliarden alten Proto-Erde
Chengdu (China) – In uralten Gesteinsproben aus Grönland, Kanada und Hawaii haben Geologen und Geologinnen eine ungewöhnliche Isotopen-Signatur des Elements Kalium (K) entdeckt, bei dem es sich um 4,5 Milliarden Jahre alten Reste der Proto-Erde handeln könnte.

Copyright: Susana Cipriano (via Pixabay.com) / Pixabay License
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Wie das internationale Forschungsteam unter Leitung von Da Wang von der chinesischen Chengdu University of Technology und Kolleginnen und Kollegen der Carnegie Institution for Science in Washington, der ETH Zürich und des Scripps Institution of Oceanography in Kalifornien aktuell im Fachjournal „Nature Geoscience“ (DOI: 10.1038/s41561-025-01811-3) berichten, handelt es sich vermutlich um den chemischen Fingerabdruck der Proto-Erdo, also jenes frühen Planeten, der vor rund 4,5 Milliarden Jahren mit einem anderen Himmelskörper /Theia) kollidierte. Dieser Einschlag führte nicht nur zur Entstehung des Mondes, sondern veränderte auch die Zusammensetzung der heutigen Erde grundlegend.
Ein chemisches Rätsel im Kalium
Kalium kommt in drei stabilen Isotopen vor: K-39, K-40 und K-41. Während K-39 und K-41 fast das gesamte natürlich vorkommende Kalium ausmachen, ist das radioaktive K-40 extrem selten. Schon 2023 hatte das Team um Zhou Nie Unterschiede im Kalium-Isotopenverhältnis verschiedener Meteoriten festgestellt. Diese Abweichungen deuteten darauf hin, dass sich Kalium-Isotope als Spurenmarker und somit als Indikatoren für die Bausteine der Erde – eignen könnten.
In einem weiteren Schritt richteten die Forschenden ihren Blick auf irdisches Material selbst. Hierzu untersuchten sie uralte Gesteinsproben, deren Ursprung bis in die Frühzeit der Erdgeschichte zurückreicht. Die Proben aus Kanada und Grönland stammen aus Regionen, die zu den ältesten bekannten kontinentalen Krusten der Erde gehören, während hawaiianische Lavaablagerungen Material aus dem tiefen Erdmantel an die Oberfläche bringen.
Spurensuche im Labor
Die Proben wurden zu Pulver verarbeitet, in Säure gelöst und das Kalium chemisch isoliert. Anschließend bestimmten die Forscher mit einem hochpräzisen Massenspektrometer das Verhältnis der drei Kalium-Isotope. Dabei zeigte sich ein überraschendes Ergebnis: Die Proben enthielten weniger K-40, als es in modernen irdischen Materialien üblich ist – ein K-40-Defizit.
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Dieses Defizit sei zwar winzig, aber eindeutig: „Es weist darauf hin, dass das untersuchte Material anders gebaut ist als der heutige Erdmantel. Diese Isotopen-Signatur ist ein Überbleibsel aus der Zeit vor der großen Kollision“, erklärt Nie. Mit anderen Worten: Diese Gesteine könnten Fragmente der ursprünglichen Proto-Erde sein – chemisch nahezu unverändert seit Milliarden Jahren.
Überreste eines zerstörten Planeten
Um diese Hypothese zu überprüfen, simulierte das Team verschiedene Prozesse, die seit der Entstehung der Erde stattgefunden haben: gewaltige Einschläge, Aufschmelzungen, Vermischungen des Mantels und chemische Umwandlungen durch Meteoriten. In allen Modellen zeigte sich, dass ein ursprünglich K-40-armes Ausgangsmaterial durch solche Prozesse allmählich den Kaliumgehalt erhält, den wir heute in der Erdkruste beobachten.
Das bedeutet: Das alte K-40-defizitäre Gestein ist tatsächlich älter als der heutige Planet in seiner jetzigen Form. Es dürfte zu jenen Resten gehören, die den gigantischen Einschlag mit dem hypothetischen Planeten Theia überstanden haben – ein Ereignis, das den jungen Planeten weitgehend aufschmolz und chemisch neu formte.
Fehlende Bausteine des Sonnensystems
Interessanterweise gleicht die gefundene Signatur keinem bekannten Meteoriten. Zwar zeigen viele Meteoriten abweichende Kaliumverhältnisse, doch keines passt exakt zu den Messwerten der irdischen Proben. Das legt nahe, dass die ursprünglichen Bausteine der Proto-Erde bislang noch nicht in Meteoritenfunden vertreten sind – sie könnten also von einer bislang unbekannten Population früher Himmelskörper stammen.
„Seit Jahrzehnten versuchen Geochemiker, die chemische Zusammensetzung der Erde aus den bekannten Meteoritenklassen zu rekonstruieren“, erklärt Nie. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese meteorische Datenbasis unvollständig ist. Es gibt offenbar Materialtypen, die bisher schlicht fehlen.“
Bedeutung für das Verständnis der Erdgeschichte
Die Studie öffnet ein neues Fenster in die Frühzeit des Sonnensystems. Sie zeigt, dass winzige Isotopenabweichungen selbst nach Milliarden Jahren als geochemische Archive dienen können – und dass Teile der ursprünglichen Erde in tiefen Mantelregionen möglicherweise bis heute erhalten geblieben sind.
Damit liefert die Entdeckung nicht nur einen seltenen Blick auf die „chemische DNA“ der Erde, sondern auch einen Hinweis darauf, dass unser Planet, trotz seiner buchstäblich katastrophalen Jugend, sein ursprüngliches Erbmaterial nie ganz verloren hat.
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Recherchequelle: MIT, Nature Geoscience
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