Nach 15 Jahren: „Science” zieht Studie über Arsen-Bakterien zurück
Washington D.C. (USA) – 2010 sorgte eine im Fachjournal “Science” veröffentlichte Studie über die Entdeckung von auf Arsen statt auf Phosphor basierenden Lebensform im kalifornischen Mono Lake für Aufregung und eine seither schwelende Kontroverse. Jetzt hat „Science“ die umstrittene Studie über die angeblich neuartige Lebensform im Salzsee auf ungewöhnliche Art und Weise zurückgezogen.

Copyright/Quelle: NASA, 2010
Inhalt
Die Geschichte einer Kontroverse
Wie die Autoren um die NASA-Astrobiologin Felisa Wolfe-Simon von der „U.S. Geological Survey“ damals in „Science Express“ berichteten, hatten sie Mikroorganismen entdeckt, die in der bislang für absolut lebensfeindlich gehaltenen stark Aresen-haltigen Umgebung des Mono Lakes im kalifornischen Yosemite-Nationalpark gedeihen und sich hier auch reproduzieren. Die Mikroben, so berichteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter, seien in der Lage, im Aufbau ihrer DNA das von Wissenschaftlern bislang als Grundvoraussetzung für sämtliche Lebensformen betrachtete Phosphor mit dem eigentlich hochgradig giftigem Arsen zu ersetzen. Damit stellt die Entdeckung der Mikroben („GFAJ-1) die bislang gültige feste Definition der Grundlagen des irdischen Lebens auf den Kopf und würde zugleich die Möglichkeiten, unter welchen Bedingungen sich nicht nur auf der Erde, sondern auch auf anderen Himmelskörpern Leben entwickelt haben könnte, erweitern (…GreWi berichtete, damals noch auf der alten Webseite)
Science zieht Artikel zurück …
Mehr als ein Jahrzehnt nach der Erstveröffentlichung hat das renommierte Fachjournal Science nun die von Anfang an umstrittene Studie offiziell zurückgezogen. Im Laufe der Jahre, so schon kurz nach Veröffentlichung 2010 (…GreWi berichtete) und oder 2012 (…GreWi berichtete) hatten zahlreiche Forschergruppen die Ergebnisse überprüft, konnten diese jedoch nicht reproduzieren. Kritiker bemängelten unter anderem, dass Arsen biologisch nicht stabil genug sei, um als funktioneller Ersatz für Phosphor in der DNA zu dienen. Andere Forschende vermuteten, dass die ursprünglichen Resultate durch Verunreinigungen verfälscht wurden. Dennoch blieb die Arbeit ein ebenso viel zitierter wie viel diskutierter Beitrag an der Schwelle zwischen Biologie und Astrobiologie.
…und weckt damit eine neue Kontroverse
Der Rücknahme der Studie durch „Science“ selbst, weckt nun selbst wieder Debatten. Schließlich wurde das Paper nicht wegen (wie in solchen Fällen eigentlich ausschließlich üblich) aufgrund wissenschaftlichen Fehlverhaltens zurückgezogen.
In der offiziellen Stellungnahme des Science-Chefredakteurs Holden Thorp heißt es: „Wenn die Redaktion zu dem Schluss kommt, dass die Experimente eines Artikels die zentralen Schlussfolgerungen nicht tragen – auch wenn kein Betrug oder keine Manipulation vorliegt – ist eine Rücknahme angemessen.

Copyright: Vezoy (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0
Die Autorinnen und Autoren selbst widersprechen dieser Entscheidung hingegen und betonen, dass sie weiterhin zu ihren Daten stehen. So schreibt Ariel Anbar von der Arizona State University, einer der Koautoren der Studie: „Man zieht ein Paper nicht zurück, nur weil die Interpretation umstritten ist oder die Mehrheit anderer Wissenschaftler sie ablehnt. Zumindest war das bislang nicht üblich.“ Anbar kritisiert damit einen aus seiner Sicht neuen Umgang mit wissenschaftlichen Kontroversen: „Früher waren solche Rücknahmen wissenschaftlicher Artikel hauptsächlich bei schwerwiegenden methodischen Fehlern oder bei nachgewiesenem Fehlverhalten erfolgt, nicht aber bei Meinungsverschiedenheiten über die Interpretation von Daten.“
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In einem begleitenden Blogbeitrag erläutert Thorp gemeinsam mit der leitenden Science-Redakteurin Vada Vinsondass, dass das Fachjournal in den letzten Jahren häufiger Arbeiten aus anderen Gründen als nur Betrug zurückgezogen habe. Dies spiegle eine neue wissenschaftsethische Haltung wider, in der auch methodische Schwächen oder unbelegte Schlussfolgerungen ein legitimer Rückzugsgrund sein können, auch dann, wenn keine Absicht zur Täuschung vorlag.
Auch die US-Weltraumbehörde NASA, die die ursprüngliche Studie finanziell unterstützt und in einer Pressekonferenz darüber informiert hatte, zeigt sich unzufrieden mit der Rücknahme. Nicky Fox, Leiterin der NASA-Wissenschaftsmission, erklärte in einer offiziellen Stellungnahme (u.a. gegenüber der „The New York Times“), dass man die Entscheidung von Science nicht unterstütze und das Journal zur erneuten Prüfung auffordere.
Die Debatte um die Arsen-Mikroben selbst dürfte damit noch lange nicht beendet sein. Zu bedeutend wären die Konsequenzen, für diese Alternative zu den Grundlagen des uns bekannten Lebens.
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Recherchequellen: Science, NASA, grenzwissenschaft-aktuell.de
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