Petralona-Fossil: Rätselhafter Schädel ist mind. 286.000 Jahre alt
Paris (Frankreich) – Seit mehr als sechs Jahrzehnten sorgt der Schädel aus der Petralona-Höhle in Nordgriechenland für Streit unter Paläoanthropologen. Handelt es sich um einen frühen Neandertaler, einen Vorläufer des modernen Menschen oder gar um eine bislang unbekannte Menschenart? Eine neue Studie liefert nun erstmals ein gesichertes Mindestalter: Der Schädel ist mindestens 286.000 Jahre alt. Doch die Ergebnisse werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten.

Copyright: Nadina (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 3.0
Inhalt
Rätselhaftes Fossil
Der 1960 in der Petralon-Tropfsteinhöhle entdeckte Schädel gilt als einer der bedeutendsten Homininenfunde Europas. Schon sein Aussehen ist ungewöhnlich: Einerseits gehört er eindeutig zur Gattung Homo, andererseits passt er weder zum Neandertaler noch zum modernen Menschen. Jahrzehntelang streiten Forscher schon darüber, wo er einzuordnen und wie alt er überhaupt ist. Frühere Schätzungen schwankten zwischen 170.000 und 700.000 Jahren.
Uran-Thorium-Datierung bringt Klarheit
Ein internationales Forscherteam um Christophe Falguères vom französischen Institut de Paléontologie Humaine hat den Schädel nun mit modernster Uran-Thorium-Datierung untersucht. Die Ergebnisse haben die Forschenden im „Journal of Human Evolution“ (JHE, DOI: 10.1016/j.jhevol.2025.103732) veröffentlicht. Diese Methode nutzt den Zerfall von Uran-Isotopen zu Thorium, der mit exakt bekannter Halbwertszeit abläuft. Entscheidend: In einer Höhlenumgebung bilden Kalzitablagerungen ein geschlossenes System, in dem dieser Zerfall wie eine natürliche Uhr messbar ist.
Das Kalzit, das direkt den Schädel überzieht, lieferte ein eindeutiges Ergebnis: 286.000 ± 9.000 Jahre. Damit ist sicher, dass auch der Schädel so alt ist – mindestens. Da nicht der Knochen selbst, sondern der Zeitpunkt datiert wurde, an dem die Kalzitkruste zu wachsen begann, könnte der Schädel noch deutlich älter sein.
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Hinweise auf noch größere Zeitspanne
Zusätzliche Proben aus der Höhle ergaben noch ältere Werte: So zeigten Ablagerungen aus der sogenannten „Mausoleums-Kammer“ ein Alter von bis zu 650.000 Jahren. Andere Schichten lagen bei 410.000 bis 228.000 Jahren. Daraus ergibt sich eine mögliche Zeitspanne des Fossils zwischen 539.000 und 277.000 Jahren – abhängig davon, ob der Schädel einst fest in die Höhlenwand eingebettet war oder nicht.
Ein eigener Menschentyp?
Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass der Petralona-Hominine nicht einfach ein früher Neandertaler war. Vielmehr gehört er offenbar zu einer archaischeren, eigenständigen Population, die parallel zu den Vorfahren der Neandertaler in Europa existierte.
Damit stützt die Studie die Vorstellung, dass die menschliche Evolution im Mittelpleistozän kein linearer Prozess war: Statt einer klaren Abfolge einzelner Arten existierten offenbar mehrere unterschiedliche Homininenformen nebeneinander. Es zeichnet sich ein Bild von Vielfalt und Parallelentwicklung.
„Der Petralona-Schädel ist ein Schlüsselfossil für das Verständnis der europäischen Menschheitsgeschichte“, so die Autoren. „Er zeigt, dass unsere Entwicklung von einer komplexen Gleichzeitigkeit verschiedener Linien geprägt war.“
Streitpunkt bleibt
Auch wenn die neuen Daten eindeutiger sind als frühere Schätzungen, dürfte die Kontroverse um den Schädel damit nicht beendet sein. Schon in der Vergangenheit wurde das Fossil wiederholt politisch, ideologisch oder wissenschaftlich instrumentalisiert – etwa im Streit zwischen griechischen Forschern, die den Schädel als Beweis für eine besonders frühe Besiedlung Europas sehen wollten, und internationalen Teams, die skeptischer urteilten.
Mit dem neuen Mindestalter von knapp 300.000 Jahren rückt der Schädel in eine Epoche, in der die Entwicklung des Neandertalers bereits begann. Sollte es sich tatsächlich um eine andere, eigenständige Menschenform handeln, wäre der Petralona-Schädel ein Hinweis darauf, dass die Evolution des Menschen weitaus vielgestaltiger und chaotischer verlief, als lange angenommen.
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Recherchequelle: ScienceDirect.com
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