Hummeln lernen einfache „Morsecode-Signale“ zu lesen
London (Großbritannien) – Eine neue Studie der Queen Mary University of London zeigt erstmals, dass ein Insekt, in diesem Fall Erdhummeln (Bombus terrestris), zwischen unterschiedlich langen visuellen Reizen unterscheiden kann. Damit gelingt den Tieren eine Zeitverarbeitungsfähigkeit, die bislang nur beim Menschen sowie bei einigen Wirbeltieren wie Makaken oder Tauben dokumentiert wurde: die Unterscheidung zwischen kurzen und langen Signalen – im übertragenen Sinne zwischen „Punkt“ und „Strich“ des Morsecodes.

Copyright: Ivar Leidus (via WikimediaCommons) CC BY-SA 4.0
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Wie das Team um die Psychologin Dr. Elisabetta Versace und des Doktoranden Alex Davidson von der Queen Mary University of London im Fachjournal „Biology Letters“ (DOI: 10.1098/rsbl.2025.0440) berichten, basiert die Studie auf einer Reihe kontrollierter Experimente, bei denen einzelne Hummeln lernen mussten, eine Zuckerbelohnung anhand der Dauer eines Lichtsignals zu finden.
Im Morsecodesystem steht ein kurzer Lichtimpuls („Punkt“) für den Buchstaben E, ein längerer („Strich“) für T. Die Forscher wollten herausfinden, ob Bienen und Hummeln in der Lage sind, diese zeitlichen Unterschiede überhaupt wahrzunehmen. Schließlich kommen in ihrer natürlichen Umgebung derart künstlich flackernde Lichtquellen nicht vor.
Hummeln folgen Lichtmustern wie Morsezeichen
Hierzu konstruierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein mehrstufiges Labyrinth. In jedem Raum konnten die Hummeln zwischen zwei kreisförmigen Lichtsignalen wählen: einem kurz aufflackernden und einem länger strahlenden. Nur eines davon führte zu einer Zuckerbelohnung; das jeweils andere war mit einer bitteren Substanz gekoppelt, die Bienen meiden.
Um auszuschließen, dass sich die Tiere lediglich den Standort eines Signals merken, wechselte in jedem Raum die Position der beiden Lichtkreise zufällig. Entscheidend war somit allein die Dauer des Lichtblitzes.
Nachdem die Bienen gelernt hatten, zielstrebig auf den korrekten Lichtreiz zuzufliegen, entfernten die Forscher die Zuckerlösung und testeten die Tiere erneut. Das Ergebnis war eindeutig: Die Mehrheit der Hummeln steuerte weiterhin das Licht mit der zuvor belohnten Dauer an – unabhängig davon, wo es im Raum angezeigt wurde. Raumorientierung oder Gerüche spielten keine Rolle.
„Bemerkenswerte Leistung“ für ein Insekt
Alex Davidson beschreibt die Ergebnisse als überraschend deutlich: „Wir wollten wissen, ob Hummeln zwischen unterschiedlich langen Reizen unterscheiden können – und sie konnten es. Dass sie auf Anhieb mit künstlichen, flackernden Lichtmustern zurechtkommen, ist bemerkenswert.“
Die Forschenden betonen, dass Bienen solche Reize in der Natur nicht sehen. Dass sie dennoch in der Lage sind, die Dauer eines Signals präzise zu registrieren, deutet entweder auf eine sehr flexible Zeitverarbeitung hin oder auf eine basale, tief verankerte neuronale Eigenschaft, die grundsätzlich für die Verarbeitung zeitlicher Abfolgen zuständig ist. Ob diese Fähigkeit sich ursprünglich aus der zeitlichen Steuerung von Bewegung, Kommunikation oder Flugmanövern entwickelt hat, bleibt offen.
Rätsel der Zeiterfassung im Insektengehirn
Die neuronalen Mechanismen hinter solchen Kurzzeit-Zeitmessungen gelten weiterhin als weitgehend ungeklärt. Die bekannten Systeme für Tagesrhythmen oder saisonale Anpassungen – sogenannte circadiane Uhren – arbeiten viel zu langsam, um Unterschiede im Millisekundenbereich zu erklären.
Theorien reichen von einem einzigen internen „Taktgeber“ bis hin zu mehreren parallelen Mini-Uhren im Gehirn. Die winzigen „Miniaturgehirne“ der Hummeln, kleiner als ein Kubikmillimeter, bieten nun ein neues Experimentierfeld, um diese Modelle zu testen.
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Versace ordnet die Ergebnisse in einen größeren evolutionsbiologischen Kontext ein: „Viele komplexe Verhaltensweisen – Orientierung, Kommunikation, Navigation – beruhen auf Zeitverarbeitung. Dass wir nun bei Insekten nachweisen können, dass sie Dauerunterschiede verarbeiten können, zeigt, wie effizient biologische Systeme arbeiten.“
Die Forscherin sieht auch Parallelen zur künstlichen Intelligenz. Wenn komplexe Aufgaben – wie das Unterscheiden zeitlicher Muster – mit so wenig neuronaler Struktur lösbar sind, könne das Hinweise geben, wie künstliche neuronale Netze künftig effizienter und skalierbarer entwickelt werden.
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Recherchequelle: Queen Mary University of London
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