Entdeckung um jungen Stern: Die Evolution des Lebens beginnt schon im All
Heidelberg (Deutschland) – In der protoplanetaren Scheibe des jungen Sternvorläufers „V883 Orionis“ hat ein Astronomieteam komplexe organische Moleküle und damit die Vorläufer der Bausteine des uns bekannten Lebens entdeckt. Offenbar werden diese schon lange vor der Planetenentstehung im Weltall gebildet.

Copyright: ESO/L. Calçada/T. Müller (MPIA/HdA) (CC BY 4.0)
Wie das Team unter der Leitung von Abubakar Fadul vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) vorab via ArXiv.org aktuell im Fachjournal „Astrophysical Journal Letters“ (DOI: 10.3847/2041-8213/adec6e) berichtet, gelang ihnen die Entdeckung mit dem Alma-Teleskopnetzwerk der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile. Zu den entdeckten Molekülen gehören erstmals Ethylenglykol und Glykolnitril. „Diese Verbindungen gelten als Vorstufen der Bausteine des Lebens. Ein Vergleich verschiedener kosmischer Umgebungen zeigt, dass sowohl die Häufigkeit als auch die Komplexität solcher Moleküle von Sternentstehungsgebieten hin zu Planetensystemen zunimmt“, berichten die Forschenden. Dies deute darauf hin, dass die Bausteine des Lebens bereits im Weltraum gebildet werden und weitverbreitet sind.
Derartige komplexe organische Moleküle (kurz: Coms = complex organic molecules) wurden schon zuvor an verschiedenen Orten nachgewiesen, die mit der Entstehung von Sternen und Planeten in Verbindung stehen. „Coms bestehen aus mehr als fünf Atomen, darunter mindestens ein Kohlenstoffatom. Viele von ihnen gelten als Vorläufer wichtiger biologischer Verbindungen, etwa von Aminosäuren und Nukleinsäuren“, erläutert Fadul. „Die Entdeckung von 17 Coms in der protoplanetaren Scheibe um den jungen Stern V883 Orionis schließt eine lang bestehende Lücke im Verständnis der chemischen Entwicklung dieser Moleküle – von der Zeit vor der Sternentstehung bis zur Bildung planetenbildender Scheiben.“
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Der erstmalige Nachweis von Signaturen von Ethylenglykol und Glykolnitril ist deshalb so bedeutend und neu, weil sich aus Glykolnitril die Aminosäuren Glycin und Alanin sowie die Nukleinbase Adenin bilden können – die Bausteine des uns bekannten Lebens.
Da die Übergangsphase von einem Sternvorgänger, einem sogenannten Protostern hin zu einem jungen Stern, in dem die Kernfusion gezündet hat und Gas- und Staubreste des Stern in einer Scheibe umkreisen, aus der heraus sich später dann die Planetenkerne bilden, durch heftige Phasen mit Schockwellen, intensiver Strahlung und gewaltigen Gasausstößen gekennzeichnet ist, wurde bislang angenommen, dass diese extremen Bedingungen die zuvor gebildeten chemischen Verbindungen weitgehend zerstören.
„Gemäß dieses sogenannten „Reset“-Szenarios müssten die meisten chemischen Stoffe, die später zu lebenswichtigen Molekülen werden, erst in protoplanetaren Scheiben neu entstehen – zeitgleich mit der Bildung von Kometen, Asteroiden und Planeten“, erläutert die MPIA-Pressemitteilung. Die neuen Beobachtungen legen nun jedoch nahe, dass genau das Gegenteil der Fall zu sein scheint.
„Protoplanetare Scheiben übernehmen komplexe Moleküle aus früheren Stadien, und ihre chemische Evolution setzt sich während der Scheibenphase fort“, erläutert Kamber Schwarz, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Astronomie und Mitautorin der Studie.
Tatsächlich wäre die Zeit zwischen der energiereichen Protosternphase und der Entstehung einer stabilen protoplanetaren Scheibe zu kurz, um komplexe organische Moleküle in nachweisbaren Mengen neu zu bilden. „Das bedeutet, dass die chemischen Voraussetzungen für biologische Prozesse nicht nur unter lokalen Bedingungen in einzelnen Planetensystemen vorliegen, sondern weitverbreitet sein könnten.“
Frühere Forschungen zeigten, dass Ethylenglykol durch Bestrahlung mit Ultraviolett-Licht aus Ethanolamin entstehen kann – einem Molekül, das kürzlich im Weltraum entdeckt wurde. Dieser Befund lässt vermuten, dass Ethylenglykol nicht nur in frühen Sternentstehungsgebieten entsteht, sondern auch in späteren Entwicklungsstufen, wenn Ultraviolett-Strahlung eine dominierende Rolle spielt.
Noch komplexere organische Moleküle, die für biologische Prozesse essenziell sind – darunter Aminosäuren, Zucker und Nukleobasen, die DNA und RNA bilden – wurden bereits in Asteroiden, Meteoriten und Kometen unseres Sonnensystems nachgewiesen.
Zugleich schränken die Autoren und Autorinnen der Studie noch ein, dass man bisher nicht alle Signaturen entschlüsselt habe, die anhand der ermittelten Spektren gefunden wurden. „Daten mit höherer Auflösung werden in der Lage sein, Ethylenglykol und Glykolnitril zu bestätigen. Vielleicht sind darin noch komplexere Chemikalien verborgen, die wir bisher nicht identifiziert haben“, hofft Schwarz abschließend. „Wer weiß, was wir noch alles finden werden“, ergänzt Abubakar Fadul.
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Recherchequelle: MPIA, ESO
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