139 neue transneptunische Objekte im äußeren Sonnensystem entdeckt

Künstlerische Darstellung transneptunischer Objekte im äußeren Sonnensystem (Illu.). Copyright: José Antonio Peñas (SINC)
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Künstlerische Darstellung transneptunischer Objekte im äußeren Sonnensystem (Illu.). Copyright: José Antonio Peñas (SINC)

Künstlerische Darstellung transneptunischer Objekte im äußeren Sonnensystem (Illu.).
Copyright: José Antonio Peñas (SINC)

Philadelphia (USA) – Anhand von Daten aus der „Dark Energy Survey“ (DES) haben Astronomen 139 bislang unbekannte sogenannte „trannseptunische Objekte“ (TNOs), also Objekte im äußeren Sonnensystem, jenseits der Bahn des Neptuns entdeckt. Durch deren Beobachtung und einem zugleich beschriebenen neuen Suchansatz, könnten bald nicht nur weitere TNOs sondern auch vielleicht auch bislang unentdeckte Planeten im Sonnensystem – darunter der immer noch fieberhaft gesuchte „Planet Nine“ – gefunden werden.

Ziel der DES, mit der bislang mehr als sechs Jahre lang Daten gesammelt werden konnten, ist es eigentlich, durch eine hochpräzise Beobachtung des südlichen Sternenhimmels, die Natur der Dunklen Energie besser zu verstehen. Obwohl die DES also nicht speziell zur Suche nach transneptunischen Objekten (TNOs) ausgelegt wurde, war es aufgrund der Breite und Tiefe der Durchmusterung möglich, mit dieser auch neue Objekte jenseits von Neptun zu finden.

Wie das Team um Pedro Bernardinelli und den Professoren Gary Bernstein und Masao Sako von der University of Pennsylvania aktuell im „The Astrophysical Journal“ (DOI: 10.3847/1538-4365/ab6bd8) berichtet, hänge die Anzahl der TNOs, die gefunden werden können, davon ab, wie viel Himmel eine Durchmusterung absuchen kann und davon, wie sensibel die Instrumente auch lichtschwache Objekte finden können.

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Unter Verwendung der Daten der ersten vier Beobachtungsjahre der DES-Mission begann Bernardinelli mit einem Datensatz von 7 Milliarden „Lichtpunkten“, die von der Software als mögliche Objekte identifiziert wurden und über den Hintergrundwerten des Bildes lagen. Anschließend entfernte er alle Objekte, die in mehreren Nächten vorhanden waren – Objekte also, die somit als Sterne, Galaxien, Supernova usw. erkannt wurden. Auf diese Weise ergab sich eine „vorübergehende“ Liste von 22 Millionen potentiellen Objekten. Anhand weiterer astrometrischer Operationen konnte diese Liste dann auf rund 400 Kandidaten reduziert werden, wonach diese Objekte dann in mindestens sechs Beobachtungsnächten gezielt untersucht und nach tatsächlichen TNOs gefiltert wurde. Hierzu nutzen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dann erneut den ursprünglichen Datensatz und überprüften, ob sie weitere Bilder der betreffenden Objekte finden konnten. Die so verbliebenen Kandidaten wurden dann in weiteren 25 Nächten beobachtet.

Die Verteilung der TNOs, die in den DES-Daten der ersten vier Beobachtungsmonate gefunden werden konnten, am südlichen Himmel. Zwei der Objekte waren zum Beobachtungszeitpunkt mehr als 90 Astronomische Einheiten (AE = Abstand Erde-Sonne), also mehr als 13 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt. Copyright/Quelle: Pedro Bernardinelli et al, The Astrophysical Journal, 2020

Die Verteilung der TNOs, die in den DES-Daten der ersten vier Beobachtungsmonate gefunden werden konnten, am südlichen Himmel. Zwei der Objekte waren zum Beobachtungszeitpunkt mehr als 90 Astronomische Einheiten (AE = Abstand Erde-Sonne), also mehr als 13 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt.
Copyright/Quelle: Pedro Bernardinelli et al, The Astrophysical Journal, 2020

Hierzu entwickelte Bernardinelli eine neue Methode zum Stapeln mehrerer Bilder, um eine schärfere Ansicht zu erstellen. Dadurch konnte schlussendlich bestätigt werden, ob es sich bei einem erkannten Objekt um echtes TNO handelt oder nicht. Zudem bestätigten bereits bekannte TNOs in den untersuchten Bilddaten, dass die neue Methode geeignet ist, TNOs in den untersuchten Bereichen des Himmels erkennen. Zudem konnte das Verfahren sogar zu Testzwecken eingefügte gefälschte Objekte als solche erkennen und aussortieren.

Nach vielen Monaten der Methodenentwicklung und -analyse fanden die Forscher auf diese Weise schlussendlich 316 TNOs, darunter 245 Entdeckungen von DES und 139 neue Objekte.

Mit derzeit 3.000 bekannten Objekten repräsentiert der neue DES-Katalog 10% aller bekannten TNOs. Pluto, der bekannteste TNO, ist 40-mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Jene TNOs, die nun anhand der DES-Daten ermittelt wurden, reichen von der 30- bis 90-fachen Entfernung der Erde von der Sonne (Astronomische Einheit = AE). Einige dieser Objekte befinden sich auf extrem langen Umlaufbahnen, die sie weit über Pluto hinaustragen.

Nachdem DES abgeschlossen ist, wollen die Forscher ihre Analyse für den gesamten DES-Datensatz erneut durchführen. Dann mit einem niedrigeren Schwellenwert für die Objekterkennung in der ersten Filterstufe. Auf diese Weise sehen die Forscher schon in naher Zukunft ein noch größeres Potenzial, neue TNOs zu finden, möglicherweise bis zu 500, so die derzeitigen Schätzungen.

Die neu entwickelte Methode könne auch zur Suche nach TNOs in weiteren bevorstehenden astronomischen Durchmusterungen verwendet werden, etwa der des neuen Vera C. Rubin-Observatoriums. Dieses Observatorium soll den gesamten südlichen Himmel überblicken und noch schwächere und weiter entfernte Objekte als die DES erkennen können.

Der Katalog von TNOs wird auch ein nützliches wissenschaftliches Instrument für die Erforschung des Sonnensystems sein. Da DES ein breites Spektrum von Daten zu jedem erkannten Objekt sammelt, können die Forscher anhand unterschiedlicher Farbwerte auch auf den Ursprungsort der Objekte schließen.

Durch die Untersuchung der Umlaufbahnen dieser Objekte könnten Astronomen dann auch den fieberhaft gesuchten „Planet Nine“, einem neunten großen Planeten im äußeren Sonnensystem postulierten Planeten näherkommen. „Es gibt viele Ideen über Riesenplaneten, die sich früher im Sonnensystem befanden und nicht mehr vorhanden sind, oder über Planeten, die weit entfernt und somit zu lichtschwach sind, als dass sie bislang hätte entdeckt werden können“, so Bernstein abschließend.

Hintergrund: Planet Nine
Jenseits der Umlaufbahn des Neptun liegt der Kuiper-Gürtel, der aus kleinen Körpern aus der Zeit der Entstehung unseres Sonnensystems besteht. Neptun und die Riesenplaneten beeinflussen gravitativ die Objekte im Kuiper-Gürtel und darüber hinaus, die gemeinsam als Trans-Neptunian Objects, also als transneptunische Objekte (TNOs) bekannt sind, und die die Sonne auf nahezu kreisförmigen Bahnen umkreisen.

Bahndiagramme von 9 transneptunischen Objekten, deren Bahn von Planet Nine beeinflusst sein könnte.
Copyright: Tomruen (via WikimediaCommons) CC BY-SA 4.0

Allerdings haben Astronomen einige mysteriöse Ausreißer entdeckt. Seit 2003 wurden rund 30 TNOs auf stark elliptischen Umlaufbahnen entdeckt: Sie heben sich von den anderen TNOs dadurch ab, dass sie im Durchschnitt die gleiche räumliche Orientierung haben. Diese Art von Clustering lässt sich nicht durch die bislang bekannte Architektur des Sonnensystems mit den acht bekannten Planeten erklären und führte zu verschiedenen Hypothesen, laut derer die ungewöhnlichen Bahnen durch die Existenz eines noch unbekannten neunten Planeten beeinflusst werden könnten.

Obwohl erstmals der Astronom Scott C. Sheppard die Idee von einem weiteren großen Planeten im Sonnensystem beschrieb, wurde die Theorie erst durch die Ausführungen dazu von Mike Brown und Konstantin Batygin bekannt. Auf der Grundlage neuster Berechnungen gehen Brown und Batygin davon aus, dass Planet Nine eine Masse von rund fünf Erdenmassen und eine Umlaufbahhalbachse nur von 400 Astronomischen Einheiten (AE = Abstand Erde-Sonne) besitzt. (Zuvor waren  davon ausgegangen, dass P9 etwa 10 Erdenmassen auf die Wage bringen könnte und die Sonne 20 mal weiter als Neptun umkreise, was eine Halbachse von etwa 700 AE entsprechen würde. Damit wäre der Planet nicht nur kleiner und der Sonne deutlich näher, sondern auch gleichzeitig heller als lange Zeit gedacht (…GreWi berichtete).

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Quelle: University of Pennsylvania

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